Skip to main content
Reformierte Kirchgemeinde Zweisimmen

Glocken aus dem 15. Jahrhundert

Die Zweisimmer Kirche verfügt über ein Geläut, das aus drei alten Glocken aus dem 15. Jahrhundert besteht. Kundige Forscher meinen sogar, es handele sich hier um das älteste im Kanton Bern erhaltene Geläut.

Die Kleine Glocke ist die sogenannte „Vesperglocke“. Die morgendliche Laudes und die abendliche Vesper sind gewissermaßen die Dreh- und Angelpunkte der altkirchlichen Stundengebete. Die Vesper wird gefeiert, wenn es Abend geworden ist und der Tag sich schon geneigt hat, damit wir „Dank sagen für alles, was uns an diesem Tag zuteil wurde oder was wir recht vollbracht haben“ (Basilius der Grosse: Patrologia Graeca, Band 31, 1015). Und zu diesem besonderen Gebetsgottesdienst lud die Vesperglocke ein.

Sie wurde um 1500 gegossen und trägt die Inschrift, die auch als Spruchband bei der Verkündi-gungsszene über dem Eingangsportal der Zweisimmer Kirche zu finden ist „Ave Maria, gratia plena“ – „Gegrüßet seiest Du, Maria, voller Gnaden“.

Die Vesperglocke macht noch heute die Menschen im Umfeld der Kirche – soweit das Geläut zu hören ist - auf etwas Bedeutsames aufmerksam. Morgens um 8:00 Uhr, um 12:00 Uhr und am Nachmittag um 16:00 Uhr, läuten die Glocken. Es geht also um die Strukturierung des Tages. Sie läuten nach katholischer Überlieferung dreimal am Tag zum „Engel des Herrn“, jeweils morgens, zur Mittagszeit und am Abend. Damit rufen sie morgens zur Arbeit, um 12 Uhr zum Mittagsessen, abends, bzw. am Nachmittag zum Abschluss der Arbeit. In diese Strukturierung des Tages stellen sie die Tatsache der Menschwerdung Jesu. Denn das Gebet „Der Engel des Herrn“, das die Menschen, wo immer sie gerade sind, beten sollen, erinnert an die Menschwerdung des Sohnes Gottes. Das Gebet beginnt mit dem Gruß des Engels an Maria, daher „Angelus“, lateinisch „Engel“.

  • Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft und sie empfing vom Heiligen Geist
    Gegrüßet seist du Maria voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.
    Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes.
    Amen.
  • Maria sprach: Siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort.
    Gegrüßet seist du Maria voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.
    Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes.
    Amen.
  • Und das Wort ist Fleisch geworden - und hat unter uns gewohnt.
    Gegrüßet seist du Maria voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.
    Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes.
    Amen.
    Bitte für uns, heilige Gottesmutter; dass wir würdig werden der Verheißung Christi.
    Lasset uns beten: Allmächtiger Gott, gieße deine Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, deines Sohnes, erkannt. Lass uns durch sein Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung gelangen. Darum bitten wir durch Christus unsern Herrn. Amen

Die Mittlere Glocke ist die ehemalige Mess- und jetzige Totenglocke. Diese trägt die Inschrift „Ave Maria. xps rex venit in pace. Deus homo factus est“ – „Gegrüßet seiest du, Maria. Christus, der König, ist gekommen in Frieden. Gott ist Mensch geworden.“ Die Glocke wurde 1437 gegossen.

Ihre Aufgabe war es ursprünglich, die Gläubigen zur Feier der Messe in die Kirche einzuladen. Daher die Bezeichnung „Messglocke“. Sie darf nicht mit dem sogenannten „Messglöcklein“ verwechselt werden, mit dem während der Eucharistie die Wandlung signalisiert wurde. Dies waren deutlich kleinere, meist im Innenraum der Kirche oder im Dachreiter angebrachte Glocken. Da die Zweisimmer Kirche kaum einen Dachreiter gehabt haben dürfte, wird das Messglöcklein wohl eher im Inneren der Kirche, am wahrscheinlichsten im Chorraum zu finden gewesen sein.

In früheren Zeiten hatte die Totenglocke vermutlich auch im Simmental allerdings noch andere Funktionen: mit ihr wurde ein Todesfall überhaupt bekannt gemacht und durch drei „distincta signa“ näher beschrieben: mit dem ersten Glockensignal – in den meisten Gegenden West und Mitteleuropas 3 mal 3 Schläge - wurde angezeigt, daß jemand verstorben war; mit dem zweiten Glockenzeichen wurde bekanntgegeben, ob Mann oder Frau gestorben waren; hierfür gab es unterschiedliche Anzahl von Glockenschlägen; und das dritte Geläut zählte mit einzelnen Schlägen das Lebensalter der Verstorbenen.
Nach der heute gültigen Läuteordnung wird mit dem Schlag dieser Glocke der Weg der Verstorbenen von der Leichenhalle zum Grab begleitet.

Die Grosse Glocke, die Mittagsglocke wurde 1431 gegossen. Sie trägt die Inschrift „Ment[em] sanctam spontanea[m] honore[m] D[e]o et patri[a]e lib[e]ratione[m voco] – Ich rufe auf zu heiligem, freiem Sinn. Gott zur Ehre und zur Befreiung des Vaterlandes“.

In seiner Beschreibung der Saanenländer und Simmentaler Kirchen nennt Holger Finze, vormals Pfarrer zu Zweisimmen, dies einen „üblichen Glockenspruch der St. Agathen-Glocken, die be-sonders bei drohenden Elementarkatastrophen geläutet wurden“.

Man kann das Mittagsläuten einerseits deuten als eine Erinnerung an die Geschöpflichkeit des Menschen, dem in Laufe der Tagesarbeit eine Erholungspause wohl zur Mitte des Tages eingeräumt werden soll. Andererseits signalisierte das Mittagsleuten in der Zeit vor Handy und Taschenuhr eine wichtige zeitliche Zäsur.

Im Kirchenrecht jedoch war der Türkeneinfall im 15. Jahrhundert der Anlaß, kirchenweit das Mittagsläuten einzuführen. Auf Anordnung von Papst Kalixt III. (1378-1458) sollten eine oder mehrere Kirchenglocken mittags durch ihr Geläut die Gläubigen dazu aufrufen, für einen Sieg der Ungarn über die Osmanen zu beten. Während die Glocken läuteten, sollten die Christen drei Vaterunser und drei Ave Maria beten. Nach dem Sieg im Sommer 1456 wurde dies Geläut beibehalten – nun aus Freude über die Niederlage der Moslems. Und dieser Brauch hat sich auch in Zweisimmen bis heute gehalten – auch wenn sicherlich niemand mehr sich dessen Ursache erinnert.

Von alters her sprechen Kirchenglocken zu den Menschen. Ihre Botschaft soll sowohl der kirchlichen als auch der gesamten Kommunalgemeinde vernehmbar werden. Damit die Glocken, ihre Sprache und ihre Botschaft vernommen und verstanden werden können, bedarf es eines geordneten Geläuts. Die christliche Gemeinde hat sich mit ihren Glocken in die menschlichen Lebenszusammenhänge gestellt und dies in Glockeninschriften wie Folgenden zum Ausdruck gebracht:

Jeremia 22, 29:
O Land, höre des Herrn Wort!

Matthäus 11, 28:
Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!

2.  Korinther 5, 20:
Lasst euch versöhnen mit Gott!

1.  Korinther 13, 1:
Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.

Psalm 31, 16:
Meine Zeit steht in deinen Händen.

Psalm 150, 5:
Lobet den Herrn mit hellen Zimbeln; lobt ihn mit wohlklingenden Zimbeln!

Die Glocke fungiert dabei als liturgisches Instrument:

  • Die Glocken der Kirchengemeinde verkünden die Ehre Gottes. Sie künden Zeit und Stunde und erinnern daran, dass unsere Zeit in Gottes Händen steht. Sie sind Zuspruch des Evange-liums und behaupten den Herrschaftsanspruch Jesu Christi auf unser ganzes Leben und den Alltag der Welt.
  • Kirchenglocken sind vorrangig gottesdienstliche Instrumente. Die Glocken der Kirchengemeinde stehen im Dienst der Verkündigung von Gottes froh und frei machendem Wort. Sie rufen zum Gottesdienst, mahnen zum Gebet und begleiten das Beten. Sie rufen auch die nicht am Gottesdienst Teilnehmenden zum Gebet auf.
    Der nach alter und guter Tradition übliche Stundenschlag ruft den einzelnen Christen zum Gebet.

Die Glocken weisen weiter auf die Feste der Kirche und auf besondere Ereignisse im Leben der Gemeinde (wie Taufe, Trauung, Konfirmation, Ordination und Einführung, die festliche Indienstnahme neuer Glocken) hin. Sie begleiten die Gemeindeglieder in Freud und Leid, im Leben und im Sterben, aber sie läuten nicht zur Ehre eines Menschen.

Außerdem gilt bei Kirchenkonzerten, daß vor Beginn der Veranstaltungen auf Beschluss des Kirchgemeinderates die Kirchenglocken geläutet werden.

Aus den vorstehenden Gesichtspunkten ergibt sich, dass Kirchenglocken grundsätzlich bei nichtkirchlichen Anlässen schweigen. Bei Katastrophen ist trotz weitgehender Technisierung (Sirenen, Fernsehen, Hörrundfunk, Lautsprecheranlagen, Telefon) ihr Einsatz in Ausnahmesituationen als Alarmsignal möglich.